Rätselhafte Reihenbauten: Die Kunst von Ben Butler
Wie kann man die Natur imitieren und trotzdem völlig neue Formen schaffen? Mit einem universellen Konstruktionsprinzip schafft der Künstler Ben Butler unvorhersehbare Objekte.
Autor: Dave Großmann, Künstler und Redakteur an den Schnittstellen von Design, Kunst und Architektur
Es ist der Stoff, aus dem die Bäume sind. Holz ist eines der ältesten Baumaterialien der Welt und erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit – nicht nur wegen seiner nachhaltigen Eigenschaften. Vor allem in den USA pflegt man ein besonderes Verhältnis zum Holz. Kein Wunder, denn hier stehen nicht nur die größten Bäume der Welt, sondern neben der großen Vielfalt an Hölzern haben die USA überraschenderweise auch eine der nachhaltigsten Forstwirtschaften: Unglaubliche 90 Prozent der Einfamilienhäuser werden nach wie vor aus Holz gebaut. Ohne Zweifel ist es ein fester Bestandteil der amerikanischen Kultur.
Typisch also, könnte man meinen – denn auch der US-Amerikanische Künstler Ben Butler hegt eine große Leidenschaft für Holz. In organischen Installationen erkundet er die Grenzen und Möglichkeiten des Materials und greift dabei die universellen Baupläne der Natur auf. Butler ist fasziniert davon, wie komplexe Phänomene aus einfachsten Elementen heraus entstehen. Beispiele dafür sind Ameisenkolonien, die sich über Tausende von Kilometern ausbreiten können, oder chaotische Megastädte, die dennoch funktionieren. Der Künstler ist überzeugt, dass solche Strukturen nicht planbar sind, sondern nur aus sich selbst heraus wachsen können. Genau diesen Prozess versucht er auf seine Objekte zu übertragen.
Wenn Butler mit der Arbeit beginnt, dann unmittelbar und direkt am Werk. Ohne jegliche Skizze wachsen die Skulpturen ins Ungewisse – das Ergebnis bleibt stets offen. Einzig seine Methode bildet einen festen Kern jeder einzelnen Arbeit: Ausgehend von einer Grundform, wird diese immer wieder mit geringen Abweichungen kopiert und aneinandergereiht. Jedes neue Teil unterscheidet sich in Form und Größe nur minimal von seinem Vorgänger. Auf diese Weise vermehren sich seine Werke scheibchenweise und organisch. Eine Art Mutation, die gleichzeitig auch im anatomischen Aufbau fast aller Lebewesen zu erkennen ist. Selbst in unbelebter Materie wie Wellen, Wolken oder ganzen Städten – mit Gebäuden und Straßen als kleinsten Einheiten – wird dieses Prinzip sichtbar.
Obwohl Butlers Arbeiten sehr ausgewogen wirken, vereinen sie bei näherer Betrachtung viele Gegensätze. So kombiniert die Installation “Unbound“ organische Formen mit strenger Geometrie. Über 10.000 Leisten aus Pappelholz wurden dafür mit einer cleveren Steckverbindung aus wiederum 30.000 Streichhölzern zu einem raumfüllenden Raster vernetzt. Wie in einem diffusen Dickicht aus unzähligen Zweigen gibt es keine klare Grenzen. Aufgrund des groben Rasters scheint die Installation je nach Perspektive transparent oder undurchlässig – massiv und zugleich zerbrechlich. Es entsteht eine dynamische Tiefe, die den Blick in die Struktur mit ihren Fluchtlinien hineinzieht.
Butler realisiert seine Arbeiten vor allem für öffentliche Einrichtungen wie Hotels, Universitäten, Krankenhäuser, Theater oder Parkanlagen. In einigen Fällen gelingt es ihm diese Orte nicht nur ästhetisch, sondern auch funktional aufzuwerten. Für das Crosstown Theater entwickelte der Künstler auf einer Fläche von über 3.000 Quadratmetern eine skulpturale Wandverkleidung, die vor allem als Akustikelement dient. Hier galt es höchste Anforderungen der Akustikingenieure zu erfüllen: Zum einen musste die Oberfläche so dicht sein, dass der Schall reflektiert und nicht absorbiert wird. Zum anderen mussten die Holzprofile in einem bestimmten Maß unregelmäßig sein, um Echos zu vermeiden und den Schall gleichmäßig im Raum zu verteilen. Auf diese Weise konnte das Hörerlebnis für das Publikum drastisch verbessert werden. Dazu wurden Tausende von Holzprofilen mit einer handgezeichneten Linie immer wieder leicht variiert und so zugeschnitten, dass kein Verschnitt entstand. Nur mit einem großen Team konnten die unzähligen Teile zu einem tonnenschweren Wandrelief zusammengesetzt werden, das einen harmonischen Kontrast zur kühlen Stahlarchitektur bildet. Wie Stoff mit geschwungenen Falten wirkt die Holzoberfläche und sorgt für eine warme Atmosphäre im Saal.
Ben Butlers Skulpturen sind mehr als nur die Summe ihrer Einzelteile. Sie sind zugänglich, doch erfordern auch eine gewisse Denkleistung. Wer sein Prinzip erkennt, kann augenblicklich Verbindungen zu vielen anderen Phänomenen ziehen. Mal wirken sie wie aufbereitete Fossilien unbekannter Lebensformen, mal wie zerklüftete Landschaften. Seine Arbeiten verbinden nicht nur das Einfache mit dem Komplexen, sondern auch traditionelles Handwerk mit innovativen Konzepten. Inzwischen hat sich dieser Ansatz organischer Geometrie auch in der Architektur etabliert. Durch neue Entwurfsprozesse gewinnt das parametrische Design zunehmend an Bedeutung und wird das Bauen der Zukunft wohl maßgeblich prägen. Es sind die mutigen und originellen Ansätze von Künstlern wie Ben Butler, die eine Brücke zwischen den verschiedenen Welten schlagen.
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