Candy Lenk Form ohne Funktion
Als ehemaliger Architekt wechselte Candy Lenk die Seiten: Nun baut er irritierende Installationen im Einklang mit der Architektur.
Autor: Dave Großmann, Künstler und Redakteur an den Schnittstellen von Design, Kunst und Architektur
Was passiert, wenn ein Architekt beschließt, Künstler zu werden? Müssen Klarheit und Wirtschaftlichkeit nun Platz machen für Extravaganz? Seit jeher stehen Kunst und Architektur in einem kontinuierlichen Austausch miteinander. Kunst kann den Raum dekorieren, kommentieren, kritisieren, ergänzen oder ihn sogar in den Hintergrund drängen. In gewisser Weise entsteht hier ein Machtkampf. Ist die Kunst ein Gast oder steht sie auf Augenhöhe mit dem vorhandenen Raum? Wie sehr darf sie die Architektur einnehmen? Genau hier liegt der Reiz dieser Begegnung – im spielerischen Ausloten der dominanten Rolle.
Candy Lenk bewegt sich in beiden Welten. Als ehemals praktizierender Architekt wechselte er die Seiten und widmet sich seit 2005 der Kunst. Viele seiner Werke finden vor allem im öffentlichen Raum und in öffentlichen Gebäuden statt, die er oftmals zusammen mit der Künstlerin Anna Borgman konzipierte. Mal handelt es sich um temporäre Installationen, mal um Kunst am Bau. In jedem Fall sind seine Eingriffe auf den jeweiligen Ort maßgeschneidert. Auffällig sind seine ungewöhnlichen Materialien, die eher der Architektur zugeordnet werden – funktionale Elemente wie Rohre, Zäune, Baugerüste, Stahlgitter und Treppengeländer. Die Wurzeln seiner Profession sind immer noch deutlich erkennbar. Doch seine Werke erfüllen keine Funktion – sie irritieren.
So in etwa der “Radiator“: Ein überdimensionaler Heizkörper aus massiven, blauen Wasserrohrleitungen, die typisch für Berlin sind. Als temporäre Installation stand dieser in der Ruine der alten Klosterkirche. Normalerweise leiten diese oberirdischen Rohre das Grundwasser von Baustellen in die Spree oder den Landwehrkanal. Man könnte meinen, die Leitungen gehören genauso zum Berliner Stadtbild wie der Fernsehturm. Lenk erkannte das ästhetische Potenzial und kombinierte die Rohrelemente zu einem 10 Meter hohen und 11 Tonnen schweren, geschlossenen Kreislauf. Unweigerlich erzeugt der Riesenheizkörper in der Kirchenruine Spannung. Einerseits fügt er sich optisch ein, indem er die Schwünge und Proportionen der hohen gotischen Fenster aufgreift. Andererseits stehen sich der schroffe, rote Ziegel und glatt-blauer Stahl völlig fremd gegenüber. Zerstörtes und Strahlendes, sakrale Ruine und puristisches Rohr prallen aufeinander. Man fühlt sich nicht nur winzig klein gegenüber dem Heizkörper, sondern vor allem hin- und hergerissen. Stört er? Oder ergänzt er die Ruine als drastisches Gegenstück? Bereits die Skulptur an sich bleibt in ihrer Funktionslosigkeit geheimnisvoll. Doch besonders an diesem sakralen Ort rätselt man über die Symbolik. Warum gerade ein Radiator? Fehlt uns die Wärme? Bizarr steht die Heizung als riesiges Fragezeichen im Raum.
Fast schon nüchtern dagegen ist die Arbeit „Treppe“: Nichts anderes als ein Treppengeländer, ohne dazugehörige Stufen. Der Handlauf, eine kaum beachtete Vorrichtung wird zum Kunstwerk überhöht und bekommt plötzlich eine völlig neue Bedeutung. Requisiten in der Hauptrolle.Als rote grafische Linie zeichnet diese nicht nur eine minimalistische Komposition in den Raum und auf die leeren Wände. Sie skizziert auch den unsichtbaren Treppenverlauf.
Gewissermaßen wird man selbst zum Architekten und muss die fehlenden Stufen zu Ende denken. Unser Vorstellungsvermögen ist gefragt, um die räumliche Struktur vor dem inneren Auge abzustecken.
Ein Ansatz, der sich auf die Spitze treiben lässt. Am Forschungszentrum IRIS der Humboldt-Universität zu Berlin installierte Lenk beispielsweise fünf goldene Eingänge, die ins Nirgendwo führen. Über das gesamte Gebäude verteilt, findet man eine vergoldete Schleusentür, eine Fassadenleiter, eine Bodenluke, einen Treppenlauf und ein Aufzugsdisplay. Die geheimnisvollen Portale verwirren und sind zugleich ein intelligenter Eingriff in die bestehende Forschungsarchitektur. Wie in der Wissenschaft selbst sollen auch in der Architektur neue Räume erdacht werden. Thinking outside the box. Die goldenen Schwellen führen uns zu all den unerforschten Gebieten, die es noch zu entdecken gilt.
Golden ist letztlich auch die Mitte, die der Künstler mit seinen Arbeiten trifft. Denn im Ringen um Dominanz vermittelt Lenk: “Für mich ist ein Werk gelungen, wenn Kunst nicht in Konkurrenz zur Architektur tritt, sondern sich beide umschließen und verbinden – sich in einem gemeinsamen Bild die Ränder der Disziplinen auflösen.“
Einerseits fügen sich die Werke glaubwürdig ein. Andererseits stechen sie durch die schiere Größe oder unklare Funktion deutlich hervor. Zugegeben – manche Eingriffe wirken nicht unbedingt sinnlich, in manchen Fällen gar etwas verkopft. Doch wer genau hinsieht, erkennt den unterschwelligen Humor des Künstlers. Gemeint ist keine pompöse Show à la Christo, sondern eher ein kleines Augenzwinkern. Obwohl die Werke so clever und akribisch ausgeführt sind, wie man es von einem Architekten erwarten würde, nehmen sie sich letztendlich nicht zu ernst.
Lenk hat das Spiel mit der Irritation verinnerlicht – ob subtil oder massiv, in Form riesiger Steinbrocken, die gegen Hauswände krachen. Wenn ein Architekt wie Candy Lenk zum Künstler wird, gibt es vorerst kein großes Spektakel. Und genau das zeichnet ihn aus.
Sämtliche dargestellten Werke von Candy Lenk sind in Kooperation mit Anna Borgmann entstanden.
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