Clemens Behr Pragmatische Skulpturen
Subkultur trifft Architektur. Clemens Behr krempelt urbanes Mobiliar um und gibt uns ein neues Gefühl von den Räumen, in denen wir leben.
Ein Gastbeitrag von Dave Großmann
»One man’s trash – another man’s treasure«. Seit vielen Jahren strahlt diese Weisheit von einer prominenten Hausfassade in Kopenhagen. Besser könnte man Clemens Behrs Sicht auf die Dinge kaum zusammenfassen. Für den Berliner Künstler ist der urbane Raum mit all seinen unschönen Nebensächlichkeiten die größte Inspirationsquelle. Hier entdeckt er das Skulpturale im Banalen: In den Baustellen und Sperrmüllecken, in den Strukturen jenseits der Din-Norm, in den »Nicht-Räumen« der Stadt. »Sperrmüll wird natürlich an Orten abgestellt, die nicht genutzt werden. Ich habe für mich Stellen in der Umgebung gesammelt, wo immer Sachen stehen – an denen es sich bereits normalisiert hat. Typischerweise sind das entlegene Ecken, dort kann man Dinge anlehnen und es stört niemanden.«
Clemens Behr geht es nicht um Konsumkritik. Auch mit Upcycling oder Müllvermeidung hat seine Kunst wenig am Hut. Seine Faszination gilt derzeit vor allem den zufällig entstandenen Kompositionen im urbanen Raum – dem unbewussten Gestaltungsakt der Nachbarin, die sich einfach ihrer alten Möbel entledigt. Sie richtet sich auf ulkige Arrangements, die Bauarbeiter kurz vor Feierabend zusammengewürfelt haben. Oder auf die merkwürdig-provisorische Architektur, die ohne Mittel aus dem Bauch heraus entsteht. Denn typischerweise werden solche Dinge spontan und pragmatisch angegangen. Hauptsache, es fällt nichts um. Sperriges wird mit Kabelbinder oder Tape zusammengehalten, aufeinander gestapelt oder angelehnt – »form follows function« in seiner wohl reinsten, naivsten Art und Weise. In diesen Situationen erkennt Clemens Behr eine ganz eigene Ästhetik. Sein Faible gilt dem intuitiven Umgang mit Material und Formen – eine Herangehensweise, die man sich in der konventionellen Architektur kaum erlauben kann. Behr nimmt sich die Freiheit und adaptiert diese Spontanität in sehr unterschiedlichen Formaten. Unbefangen springen seine Arbeiten zwischen Malereien, Skulpturen, Murals, temporären oder dauerhaften Installationen, Fotocollagen und allen Zwischenformen hin und her.
Inspiriert von den Nicht-Räumen, entstehen seine Arbeiten auch aus dem passenden »Nicht-Material«. Verspielt schraubt Behr das zusammen, was nicht unbedingt zusammen gehört: Dachbalken, Leuchtstoffröhren, Spanplatten, Wellblech, Fliesen oder Rollläden, sezierte Müllcontainer. Das Rohmaterial erlaubt einen groben und spontanen Umgang, ist weltweit und günstig verfügbar. Zwar wachsen seine Kompositionen schnell und ungeplant, jedoch sind sie keineswegs beliebig. Behrs Entscheidungen sind oftmals wild, aber immer fein abgestimmt. Die beständig entwickelte Formensprache ist stadtmalerisch, blechern, klapprig, chaosverliebt. Ein ganz eigenes Verständnis von Ordnung. Unverkopft befreit er gefundene Objekte und Baumaterial von ihrer eigentlichen Bedeutung und gibt einen neuen Blick auf gewöhnliche Dinge.
Wenn er eine Tür säuberlich zersägt, geht es ihm nicht um das symbolische Einreißen von Zugängen – sondern ganz simpel um den Kontrast zwischen glattem Weiß und dem darunter liegenden Kern einfacher Wellpappe. Seine Arbeiten gehen keinen Umweg über Metaphern. Sie sind pur und spielen mit den Oberflächen des städtischen Alltags. Entschlossen krempelt er urbanes Mobiliar um und gibt uns ein neues Gefühl von den Räumen, in denen wir leben.
Wie so viele Künstler:innen seiner Generation hat auch Clemens Behr seine Wurzeln im Graffiti – einer guten Schule für das bewusstes Wahrnehmen des öffentlichen Raumes. Gekonnt fangen seine Arrangements den Sound, die Haptik und stressige Atmosphäre urbaner Enge ein und kommentieren diese mit einem Augenzwinkern. Schon früh hatte er ein Auge für die weitläufigen Kulissen amerikanischer Metropolen in Skatevideos. Heute sammelt er seine Inspiration beispielsweise im osteuropäischen Stadtbild oder in den Winkeln Tokios. Seine Arbeiten verkörpern die unverkrampfte Haltung urbaner Jugendkulturen, die sich den begrenzten Stadtraum zu eigen machen – egal ob auf dem Skateboard oder mit der Sprühdose. Seit vielen Jahren ist er international ein wichtiger Akteur, der eben jenen rebellischen Ausdruck in den Galerieraum versetzt – ohne dabei wie ein Fremdkörper zu wirken. Selbst in der gemeinsamen Arbeit mit Student:innen der Architektur finden seine Ideen Gehör und Anerkennung. Auch auf einer höheren Ebene bringt er das zusammen, was nicht unbedingt zusammen gehört: Subkultur & Architektur, Interior Design & Sperrmüll, White Cube und Straßenecke. Clemens Behr beweist, dass trash und treasure nicht nur sprachlich dicht beieinander liegen – und verbindet Gegensätzliches mit einem Schmunzeln im Gesicht.
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