Das Runde im Eckigen Das Hexagon als vermittelnde Form in der Architektur
Mit der Geometrie ist es ein bisschen wie mit der Schraube. Irgendwie hält sie alles zusammen, egal ob im Großen oder im ganz Kleinen, vom Tragwerk bis zum Uhrwerk. Ziemlich jeder der etwas baut, sollte sie griffbereit haben. Das Gleiche gilt für die Geometrie. In Design, Kunst oder Architektur – ja selbst in der Natur ist die Geometrie das Fundament der wohl größten Formenvielfalt.
Zur Grundausstattung zählen Formen wie Punkt, Linie, Dreieck oder das Quadrat. Denn letztlich passieren in der Mathematik die spannendsten Dinge ganz am Anfang des Zahlenstrahls. Danach ist alles nur noch Wiederholung. Allein deshalb lohnt sich immer wieder der Blick zurück auf die Grundlagen. Eine viel zu wenig beachtete Form ist dabei das Hexagon. Dieses ist dem Kreis nicht nur ähnlich, sondern vor allem in der Architektur überlegen. In mancher Hinsicht steht ihm gegenüber selbst der dogmatische rechte Winkel auf wackeligen Beinen.
Effizient eckig
Oftmals bestechen geometrische Formen entweder im Einzelnen oder im Verbund – das Sechseck jedoch kann beides. Vor allem als Grundriss ist sein Verhältnis von Umfang und Fläche von enormem Vorteil. Gegenüber einem quadratischen Grundriss gleichen Umfangs besitzt das regelmäßige Hexagon eine größere Fläche. Oder anders ausgedrückt: Auf gleicher Fläche ist eine Materialersparnis von 7% und somit eine nachweislich geringere Wärmeabgabe möglich. Beachtenswert sind auch die charakteristischen stumpfen Winkel, denn herausragende Spitzen wie beim Dreieck brechen bekanntlich leichter.
Spürbare Geometrie
Ein wahrer Verfechter des Hexagons war der DDR-Architekt Wilhelm Ulrich. Sein ganzes Leben widmete er dessen Möglichkeiten und setzte sich stark dafür ein, den in der modernen Architektur vorherrschenden rechten Winkel abzulösen. Neben den berechenbaren Aspekten betonte er auch die spürbaren Eigenschaften des Hexagons. Besonders im Wohnbereich ist die Raumwirkung gegenüber dem Rechteck offener und größer. Zusätzlich sind die Lichtverhältnisse günstiger, da das natürliche Licht im Tagesverlauf aus unterschiedlichen Winkeln in den Raum einfällt. Etwas mehr Privatsphäre ermöglichen die stumpfen Raumwinkel von 120° – somit verschwindet das Nachbarzimmer problemlos aus dem Blickwinkel.
Doch die Vorzüge des Hexagons gehen weit über den Wohnbereich hinaus. Hans Scharoun bewies mit der Berliner Philharmonie und dem benachbarten Kammermusiksaal nicht nur ein ausdrucksstarkes Raumkonzept für Konzertsäle – sondern vor allem die hervorragende Akustik, die vom Sechseck ausgeht, indem der Schall optimal im Raum reflektiert wird. Bessere Akustik und die zentrierte Raumwirkung sind Eigenschaften, die auch in Schulen oder Tagungsräumen helfen könnten, die Kommunikation und das Gemeinschaftsgefühl zu verbessern – so finden Workshops und Diskussionen ohnehin häufig im Kreis statt.
Sechsecke schaffen Zugang
Im Rauminneren extrem praktisch – doch auch im Äußeren? Bereits Vitruv regte an, den Grundschnitt für die Stadtplanung und im Festungsbau auf Polygone zu stützen, damit eine Rundumbeobachtung und somit besserer Schutz vor Angriffen gegeben werden konnte. Heutzutage brauchte es keine Festungen mehr, aber das rondellartige Prinzip erweist sich immer noch als hilfreich. Der Flughafen Tegel in Berlin etwa ermöglicht mit seinem bekannten sechseckigen Hauptgebäude nicht nur einen besonders schnellen Zugang zum jeweiligen Gate, sondern auch eine effiziente Koordination der Flugzeuge an ihre Parkposition. In Stockholm-Gröndal wurde eine Siedlung mit hexagonalen, fast geschlossenen Innenhöfen geschaffen, die vor den starken Meereswinden schützen, zudem ein Zentrum des Zusammenlebens bieten und beinahe dörfliche Gemeinschaften fördern. Auch hier verhindern die stumpfen Winkel der Wohnungen zueinander gleichzeitig den unerwünschten Blick des Nachbarn.
Das Sechseck verbindet
Wahre Stärke zeigen Sechsecke jedoch im Verbund. Die Natur macht es bekanntermaßen vor, egal ob in Bienenwaben, Facettenaugen oder kristallinen Strukturen. Die Gründe sind bekannt: Das Hexagon ist ähnlich effizient wie der Kreis – im Raster aber flächendeckend, ganz ohne Verluste. Vor allem ist es extrem stabil, da sich einwirkende Kräfte über die gesamte Struktur verteilen können. Zeitlos zieht sich das Raster durch Ornamente, Fenster oder Parkettierungen: Von Girih-Kacheln aus dem islamischen Kulturkreis bis hin zu sechseckigen Bodenplatten, die vorwiegend an Tankstellen verlegt werden, um beim permanenten Anfahren und Abbremsen Verschiebungen zu vermeiden.
Ob Straßenbelag oder Straßenführung – das Sechseckraster bietet sich als universelles Werkzeug geradezu an. In den sechziger Jahren entwickelte Wilhelm Ulrich ein alternatives, hexagonales Verkehrsnetz ohne rechtwinklige Kreuzungen. Das Konzept garantierte mehr Sicherheit durch bessere Sicht und eine flüssigere Verkehrsführung – leider blieben viele seiner Vorschläge ungehört. Doch heute versprechen neue Technologien verbunden mit sechseckiger Geometrie ganz neue Möglichkeiten im biomorphen Bauen. Der Mensch erkennt scheinbar, was die Natur als kreatives Vorbild schon immer verstanden hat: Irgendwie hält sie alles zusammen.
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