“Ein gutes Gebäude hat einen Grund da zu sein”

Musiker, Werber, Gastronomen, Visionäre: Wer als Bauherr den in Hamburg lebenden Architekten Stephen Williams beauftragt, ist auf der Suche nach dem Besonderen. Mit 20 Architektinnen und Architekten plant er heute Bauprojekte in Europa und Asien, die das Gesicht großer Städte prägen. Hotels, Büros, Wohnhäuser - Williams ist renommiert, ein Ex-Punk, der heute zwar Manschettenknöpfe trägt, aber mit seinen Entwürfen das Gewohnte durchbricht. Seine Entwürfe spielen mit Licht, mit Materialien und Oberflächen. Seine Räume sind erst dann fertig, wenn sich Menschen in ihnen bewegen und miteinander kommunizieren.

Stephen Williams

“Das Unsichtbare entwerfen“, nennt Williams seinen Stil. Im Interview erzählt er, warum er das Arbeiten zu Hause für unkreativ hält - und gute Architektur ein Menschenrecht sein sollte.

Herr Williams, was hat Sie das Jahr 2020 bislang gelehrt?

Als mein Büro verwaist war, saß ich manchmal einfach hier und habe darüber nachgedacht, was ich eigentlich mache und was ich will. Das war eine wertvolle Zeit. Mir ist dabei aufgefallen, wie wichtig es mir ist, mit Menschen zusammen zu sein. Der Austausch, der kleine zwischenmenschliche Moment der Kreativität - das ist die Essenz meines kreativen Schaffens. Nach dutzenden von Video-Konferenzen kann ich sagen: Mit Zoom geht das einfach nicht.

Wird sich Ihre Arbeitsweise in Zukunft verändern?

Ja, und ich bin gespannt, wie die neue Normalität, von der jetzt oft die Rede ist, unsere Arbeit als Architekten und Designer verändern wird. Das Loblied auf das Home Office, das Arbeiten zu Hause, ist mir etwas fremd. Ich glaube einfach, dass Kreativität ein Prozess ist, den wir nicht beliebig versetzen können. Viele unserer Kunden sind Unternehmen, die von der kreativen Idee ihrer Mitarbeiter leben, und waren es nicht die großen Tech-Konzerne, die ihre Mitarbeiter erst großzügig ins Home Office schickten, nur um sie dann nach einer gewissen Probezeit wieder so schnell wie möglich ins Büro zurückzuholen? Die wichtigste Ressource unserer Zeit ist eben nicht Effizienz, sondern Kreativität, davon bin ich überzeugt. Meine Architektur soll diese Kreativität herauskitzeln, ermöglichen, befeuern. So habe ich meine Aufgabe als Architekt schon immer verstanden, sei es für Bugatti oder Bosch.

Sie sind Experte für Corporate Architecture, was bedeutet das?

Wir sind als Architekten Übersetzer für große Marken - oder solche, die es werden wollen. Das gilt auch für Hotels wie das 25Hours in der Hamburger Hafencity. Faktoren wie Akustik spielen für die Wahrnehmung einer solchen Marke eine große Rolle, ebenso wie Materialien, Lichtreflexionen, Texturen, die lichte Höhe von Räumen - es muss einfach alles passen. Die Herausforderung besteht darin, sehr gute Entwürfe auch in der Wirklichkeit noch funktionieren zu lassen. Entscheidend für das Gelingen gerade bei Büros ist die Frage nach der Grundstruktur. Stimmt die, ist das meiste gewonnen. Sie muss Lebendigkeit zulassen, Austausch, Zusammenarbeit. Dafür braucht man den Wechsel, mal als “Communication Area” mal als Raum für ”Quiet Work”, dann den Platz für den inszenierten Zufall, das kurze Gespräch zwischendurch. Wenn Kunden verstehen, dass diese Grundstruktur stimmen muss, haben wir eine große Chance, etwas Bleibendes zu schaffen.

Williams-Werk: Innenhof des Hotels Tortue im Hamburger Hanseviertel.

Was ist für Sie gelungene Architektur?

Gute Architektur ist bleibende Architektur. Sie ist kein exklusives Gut wie die Sterneküche - sondern ein demokratisches Recht. Warum liebt die Welt Paris? Weil die Boulevards und Plätze von Menschen entworfen wurden, die einen Sinn für Proportionen hatten, die die Zeit überdauern.

Was ist der rote Faden in ihrer Arbeit, in Ihren Entwürfen und Bauwerken?

Wer alle Stephen-Williams-Projekte der vergangenen 25 Jahre an einem Ort versammelt sehen würde, dem würde als roter Faden auffallen, dass sie alle ein bisschen absurd sind. Das Ungewöhnliche, Besondere, vielleicht ein wenig Schräge und Subversive ist mein Markenzeichen. Niemand würde in Hamburg auf die Idee kommen, an die Spitze eines Gebäudes eine Außentreppe zu setzen und doch haben wir das gerade gewagt - und es wird gut werden. Ein Gebäude muss Substanz haben, glaube ich. Oder anders gesagt: einen Grund da zu sein.

Und wenn dieser Grund mal wegfällt?

Nach fast dreißig Jahren im Geschäft muss ich als Architekt und Designer auch damit leben, dass meine Arbeit gelegentlich verschwindet, etwa wenn ich ein Restaurant gestalte und der Betreiber wechselt. Das macht mich tatsächlich traurig. Am Ende existieren dann nur noch Fotos von einem Werk, das ich mit sehr viel Energie geschaffen habe. Für solche Fälle wünsche ich mir einen mächtigeren Denkmalschutz (lacht). Manchmal neigen wir Architekten dazu, unser Urheberrecht nicht laut genug zu vertreten. In meinem Kopf aber leben alle Projekte weiter.

Rot trifft Gold: Die Bar des Tortue.
Architekten als Übersetzer großer Marken: Die Brasserie des Tortue ist erst zwei Jahre alt …
… und gilt jetzt schon als Klassiker.

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