Das Bad als Tatort
Im Film bekommt das Badezimmer eine besondere Bedeutung. In diesem Raum bilden Schutz und Bedrohung ein spannungsvolles cineastisches Ensemble. Ein Essay von Wilfried Schwerin von Krosigk.
Das Bad ist ein Ort, wo der Mensch mit Vorliebe mit sich allein ist. Im Film wird es zum perfekten Ort der Tat, weil der Mensch, das Opfer, in seiner Nacktheit schutzlos und verletzlich dem Täter ausgeliefert ist. Hier kommt es zur Konfrontation mit der reinen, unverblümten Wahrheit, es gibt keine Rückzugsmöglichkeiten mehr, keine Verteidigung, kein Schönreden. Alle heimlichen Befürchtungen und schlummernden Ängste werden existenzielle Realität.
Ort der Vorahnungen
Im Bad schließt der Protagonist sich ein, um unbeobachtet zu sein, um nicht gestört oder überrascht zu werden, um ganz bei sich sein zu können. Es ist das einzige Zimmer im Haus, das ausdrücklich für das Alleinsein konzipiert ist. Nicht ohne Grund wird das Bad auch Nasszelle genannt, der Raum, in dem der Mensch sich unter fluoreszierendem Kunstlicht, das von gekachelten Wänden und Fliesen in klinischem Weiß, dem bevorzugten Farbton des haushaltsüblichen Badezimmers, reflektiert wird, als Insasse einer Gefängniszelle fühlen darf, in der Gefangener und Wärter identisch sind. Oder es ist wie die Zelle eines Mönches, der fern von der Welt in der Einsamkeit seiner Enklave das Zwiegespräch mit sich selber sucht. Ein Zwiegespräch, das in dem Film „Taxidriver“ von Martin Scorsese zur aggressiven Provokation gesteigert wird. „You’re talking to me?“ fragt Robert de Niro sein Spiegelbild mit drohender Miene und stellt nach einem demonstrativen Rundumblick mit sarkastischem Lächeln klar: „I am the only one here!“. Im Bad bekommen die Dinge etwas Unwirkliches, eine neue, unheimliche Vorahnung, die sich verschwommen abzeichnet.
Der Zuschauer als Voyeur
Fest verankert im kollektiven Filmgedächtnis ist daher die Duschszene von Hitchcocks “Psycho“, in der Janet Leigh als attraktive Blondine mit zurückgelegtem Kopf entspannt die Wasserstrahlen des Brausekopfes wie einen warmen, tropischen Regenfall auf sich nieder prasseln lässt. Auf der Flucht mit unterschlagenem Geld und geplagt von Ängsten und Schuldgefühlen, erlebt die Protagonistin unter der Dusche einen Moment des selbstvergessenen Glücks, fast pränatal anmutend im warmen, nassen, scheinbar geschützten Raum. Die äußere Realität wird mittels eines Duschvorhangs wie mit dem Weichzeichner in milchig verschwommene Ferne verbannt. Wir gönnen der schönen Nackten die genüssliche Entspannung, bis uns der Atem stockt, als sich hinter der Ahnungslosen leise die Badezimmertür öffnet und eine bedrohliche, dunkle Gestalt, nur schemenhaft erkennbar durch den semitransparenten Duschvorhang, die Hand mit dem Messer hebt. Der brutale Kontrast, in schneller Abfolge nun: Vorhang, Messer, Körper, Wanne, Blut, Schrei, Wasser – und am Ende strudelt das Blut des Opfers in den Abfluss, auf dessen runder Öffnung in eine schwarze Tiefe die Kamera lange verweilt, bevor das Loch mittels einer Überblende nahtlos in die erstarrte Pupille des Opfers übergeht. Die kurz aufblitzenden Bilder sind so montiert, dass während des Mordes Zeit und Raum wie in einem kubistischen Bild in einzelne Fragmente zerstückelt werden. Am Ende verharrt die Kamera lange auf dem fassungslosen Gesicht des Opfers, das im Sterben nach einem letzten Halt greift und dabei den Duschvorhang herunterreißt, als würde es der tödlichen Wahrheit den Schleier vom Gesicht ziehen.
Der Zuschauer wird in “Psycho“ zum Voyeur, sagt Hitchcock. Der völlig überraschende Mord unter der Dusche, der die Hauptdarstellerin gegen jede dramaturgische Konvention schon im ersten Drittel des Films umkommen lässt, war die Szene, die Hitchcock an diesem Film in erster Linie interessiert hatte. Die Dreharbeiten nur für die Duschszene dauerten sieben Tage, wesentlich länger als für die übrigen Szenen der ansonsten sehr schnell heruntergekurbelten Low-Budget-Produktion. Der Film hat, wie Hitchcock erklärt, weder eine Botschaft, noch ein besonderes Thema oder interessante Charaktere. Es ging ihm einzig und allein darum, das Publikum zum Schreien zu bringen, eine “Massenemotion“ herzustellen. Der Film sollte die Zuschauer tief im Inneren erschüttern. “In Psycho habe ich“, sagt Hitchcock, “das Publikum geführt, als ob ich auf einer Orgel gespielt hätte.“
Den dazu nötigen Voyeurismus konnte der Regisseur im Badezimmer ungleich besser bedienen als etwa im Schlafzimmer oder in der Küche. Schließlich werden hier mehrere disparate Elemente zu einem spannungsvollen Ensemble zusammengeführt: Die Erotik einer schönen Frau, ihre nackte Verletzlichkeit, die sterile Kühle des hell beleuchteten, gekachelten Raumes und die dunkle Präsenz einer nicht identifizierbaren “schwarzen“ Gestalt. Nach der Mordtat weckt das saubere Abfließen des Blutes die Assoziation an ein Schlachthaus und praktischerweise kann die Leiche im Duschvorhang eingewickelt vom Mörder problemlos entsorgt werden. Der Tatort Bad wird zur Werkstatt des Todes.
Symbol für Tod und Geburt
Im Bad spielt ein Regisseur immer mit der Diskrepanz zwischen Schutzgefühl und Bedrohung. Auch wenn er es als Szenario für konspirative Treffen und gern frequentierten Ort für heimtückische Attentate nutzt. Im öffentlichen Dampfbad halten Geheimagenten, Mafiosi und ähnliche Dunkelmänner nur mit Badetüchern bekleidet im Schutz diffuser Nebelschwaden leise murmelnd ihre Geschäftsbesprechungen ab. Doch die friedliche Badeidylle ist meistens – denn so arbeitet die Dramaturgie im Thriller – trügerisch. Es braucht nur einen Funken, damit die dampfgesättigte Atmosphäre in einem jähen Gewitter ihr aufgestautes Gewaltpotential entladen kann. Etwa in dem Agententhriller “Red Heat“, wo Arnold Schwarzenegger als Spion in muskulöser Nacktheit eine Schlägerei anzettelt, in deren Verlauf er durch die aufsplitternden Wände des russischen Dampfbads wie ein neugeborenes Baby aus dem Mutterleib in eine eiskalte Schneelandschaft geschleudert wird. Es wundert kaum, dass das Dampfbad auch ein bevorzugtes Tätigkeitsfeld des Auftragskillers ist, der hier Gelegenheit findet, sich heimlich an sein Zielobjekt heranzupirschen, um nach vollendeter Tat wieder im geräuschedämpfenden Nebel zu verschwinden. Im Thriller “Eastern Promises“ von David Cronenberg leistet das nackte und verletzlich wirkende Opfer allerdings unerwartet heftige Gegenwehr und kann in einer bizarren Orgie der Gewalt den Spieß umdrehen und seinen schwarz gekleideten Angreifern – wie schon in “Psycho“ ist das eindringende Böse im Thriller fast immer schwarz – den Garaus machen. Nach der Tat kauert das blutverschmierte Opfer sich wie ein Embryo auf dem klinisch weißen Fliesenboden zusammen. Tod und Geburt liegen im Tatort Bad nahe beieinander.
Hort der letzten Hoffnung
Auch als Ort für Wahn und Wirklichkeit dient das Bad. In Polanskis Film “Repulsion“ glaubt Catherine Deneuve, die mit dieser Rolle einer menschenscheuen, jungen Frau, die sich nicht mehr in der Realität zurechtfindet, international bekannt wurde, plötzlich einen fremden Mann durch ihren Badezimmerspiegel huschen zu sehen. Es ist der Anfang einer Reihe verstörender Vorfälle, die dazu führen, dass die psychotische Frau ausgerechnet den Mann mit einem Kerzenleuchter erschlägt, der gekommen ist, um sie zu retten. Anschließend entsorgt sie den Toten in der Badewanne. Polanskis Film ist oft mit Hitchcocks “Psycho“ verglichen worden, dabei sind die beiden Filme in ihrer Intention weit voneinander entfernt. Obwohl sie sich in ihrer surrealen Alptraum-Ästhetik verzerrter Perspektiven und unwirklichen Montagen ähneln, geht es bei Polanski nicht um einen Thriller aus der Perspektive des Zuschauers, sondern darum, den fortschreitenden seelischen Verfall der Heldin aus subjektiver Sicht zu zeigen.
Im Film manifestiert sich, wie wenig das Bad als sichere Zuflucht taugt. Der Instinkt, sich bei drohender Gefahr im einzigen von innen abschließbaren Ort der Wohnung zu verbarrikadieren, ist verständlich, aber das Bad stellt sich schnell als ausweglose Sackgasse heraus. Im cineastischen Ernstfall ist das Badezimmerfenster immer zu schmal, als dass sich der Protagonist hinauszwängen könnte, ohne stecken zu bleiben, wie Shelley Duvall es in “The Shining“ erleben muss, als nur ihr Sohn dem rasenden Ehemann durch das kleine Fenster entkommen kann. Dem Opfer bleibt in der Regel keine andere Wahl, als angstvoll hinter dem Duschvorhang kauernd darauf zu warten, ob der Retter noch kommt, bevor die energischen Beilhiebe des Täters die Badezimmertür aufgebrochen haben. Der Tatort Bad muss unfreiwillig als Hort der letzten Hoffnung dienen.
Ort transzendenter Erfahrungen
Wenn alles zu spät ist, bietet der Tatort Bad den Verstorbenen immer noch diverse Gelegenheiten, um der Nachwelt durch posthume Hinweise die Identität des eigenen Mörders zu verraten, wie in “What lies beneath“, wo Harrison Ford und Michelle Pfeiffer durch übersinnliche Phänomene im Badezimmer mit einem unaufgeklärten Todesfall konfrontiert werden. Bevor das Bad und die Badewanne zum Tatort eines weiteren Mordes werden, funktioniert die Nasszelle hier als Tor zum Jenseits, aus dem geisterhafte, mysteriöse Botschaften geschickt werden. Wie in einer narzisstischen Identitätskrise sieht das zukünftige Opfer das Antlitz des früheren Opfers neben dem eigenen Spiegelbild auf der glatten Wasseroberfläche der Badewanne, was zudem der homöopathischen Vermutung Rechnung trägt, dass Wasser ein eigenes Gedächtnispotential besitzt. Als diese gespenstische Vision noch nicht reicht, um die Frau davon zu überzeugen, dass sie in Gefahr ist, erscheint der eindeutige Hinweis als Menetekel auf dem dampfbeschlagenen Badezimmerspiegel.
Die Indizien kulminieren zur symbolistischen Ahnung. Aufsteigende Dampfwolken vor dem Nirwana weißer Badekacheln, das überirdische Gletscherlicht der Leuchtmittel, die Heilsversprechungen des Wassers und das Spiegelbild als immaterielles Substrat physischer und psychischer Offenbarungen erweitern das Badezimmer zur transzendenten Erfahrung. Körper und Seele verschmelzen in einer spirituellen Dimension, die Polarität von Geist und Materie wird aufgehoben. Befreit von irdischen Zwängen manifestiert sich das Bad über den Tatort hinaus als ein jenseits aller Begriffe liegender Zustand der Dritten Art.
Zusammengefasst aus “Intimacy – Baden in der Kunst“ Ausstellungskatalog Kunstmuseum Ahlen, Wienand, 2010
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