Zwischen den Welten Der Papierschnitt von Hansjörg Schneider als Brücke zwischen Kunst und Architektur
Olafur Eliasson hat es getan. Gerhard Richter auch. Und Henri Matisse sowieso. Kaum jemand mit Namen in der Kunst konnte der Versuchung widerstehen, sich auf irgendeine Weise dem Fenster zu widmen. Die Gründe sind offensichtlich: Das Fenster erlaubt entweder den Blick ins Private oder in die Welt, es zeigt das Verborgene, ist die Grenze zwischen Innen und Außen – wörtlich, doch vor allem sinnbildlich.
Seit Jahrhunderten taugt es als unglaublich praktisches Symbol. Dass man sich dem Fenster auch anders nähern kann, beweist der in Berlin lebende Künstler Hansjörg Schneider. Im Gegensatz zur Malerei schenkt er uns keinen gefühlvollen Einblick in seine innere Welt, sondern eine neue Perspektive auf die moderne Architektur.
Nicht nur das Symbolische fehlt in seinen Bildern, sondern die Fenster selbst – konsequent entfernt er sie aus dem Papier. Der Papierschnitt ist für seine Arbeit unentbehrlich. Mit dem Skalpell rückt er der Klassischen Moderne als Architekturepoche zu Leibe. Chirurgisch genau seziert er Licht, Material und Umgebung der Häuser und legt somit ihr Gerüst offen – so wie es die Architekten der Moderne ohnehin schon vorhatten. Doch der Künstler geht einige Schritte weiter: Das Gebäude verliert seinen Mantel, sein Fleisch und steht mehr als nur nackt da. Was bleibt, ist das Fassadenraster als architektonisches Skelett. Die doppelte Funktion des Rasters interessiert ihn daran besonders: Einerseits trennt es – andererseits schafft es Verbindungen.
Eine starke Verbindung gibt es auch zwischen Thema und Technik. Der Cut ist eine sehr entschiedene Methode, radikal – denn unumkehrbar. Er spaltet das Material, ähnlich wie ein Schlag mit Hammer und Meißel. Ebenso radikal trennte sich die Klassische Moderne von jeglichem Ornament, entledigte sich ästhetischen wie auch städtebaulichen Traditionen. Während diese Epoche von Logik und Funktionalität bestimmt war, die neuen Gestaltungsgrundsätze auf ein schlichtes, nüchternes Minimum reduzierte, schafft Schneider etwas Neues. Denn nüchtern wirken seine Arbeiten nicht – man könnte meinen, sie seien pur. In dieser Essenz prallen demnach zwei äußerst konsequente Ansätze aufeinander und ergänzen sich.
Besonders deutlich wird dieses reibungslose Zusammenspiel in seinen großformatigen Arbeiten. Dabei hat das Fenster auch für ihn eine ambivalente Rolle: Steht es für Substanz oder Leere? Wenn auch die Positionen der Fenster allein nicht genügen, um die äußere Erscheinung eines Gebäudes zu definieren, so gibt die Auflösung gerade genug vom Gesicht der Bauwerke preis, um diese erkennen zu können. So wie wir weiterhin Wörter lesen können, deren untere Buchstabenhälfte weggeschnitten wurde, ergänzt auch hier unser Gedächtnis das Fehlende. Die offengelegten Raster erscheinen als subtile Spuren: Wie der Fingerabdruck, eine einzigartige Anordnung von Linien – genügend, um den Träger identifizieren zu können.
Schneider legt ein erlesenes Verzeichnis solcher Spuren an. Er zeigt uns Ikonen der Moderne, aber auch weniger beachtete Objekte und lädt Kenner zum Raten ein. Vom Shell-Haus über Villa Savoye, zum Pirelli Hochhaus. Dazwischen auch bereits Verschwundenes: Kindergärten, Tankstellen oder das Columbushaus. Die Auswahl seiner Werke erfolgt sehr bewusst. Jedes Motiv ist ein Hinweis, ob auf den städtebaulichen Kontext oder den Lebenslauf der Architekten: »In gewisser Weise mache ich mir schneidend die Geschichte verständlich.« Natürlich steckt in jeder Arbeit auch ein Stück Hommage – nostalgisch werden möchte er jedoch nicht. Viel mehr gibt er der Moderne ein einprägsames Gesicht; etwas, das die Architekturfotografie seiner Meinung nach nur beschränkt leisten kann.
Eine ganz andere Wirkung können die Häuser in den Postkartenserien des Künstlers entfalten. Auch hier schneidet er wie gewohnt die Fenster heraus. Doch nun brechen die überspitzten Kulissen alter Karten dramatisch auf. Die Motive wirken plötzlich leer, mystisch, nahezu gespenstisch. Selbst wenn Fenster letztlich nur eine transparente, leere Fläche sind, gewähren sie uns normalerweise Einblicke in das Innenleben eines Gebäudes, oder reflektieren die Umgebung und fügen sich so harmonisch ins Gesamtbild ein. Doch nicht hier. Werden in den minimalistischen Fassadenrastern noch Volumen erzeugt, verlieren die Gebäude auf den Karten an Substanz und wirken entstellt.
Die Papierschnitte wandern in vielerlei Hinsicht auf einem schmalen Grat: In der filigranen Ausführung, in ihrer Wirkung, aber auch in der Vermittlung von Bauweise. Müssen sonst Sprache und Intellekt herbeigezogen werden, um Architektur zu deuten, teilt uns Hansjörg Schneider seinen Blick über die Kunst mit. Noch immer gibt es nach seiner Ansicht deutliche Gräben zwischen diesen beiden Welten – zu vermitteln stellt für ihn eine spannende Herausforderung dar. Auf die Frage, ob er sich als Grenzgänger versteht, erwidert er selbstbewusst: »Ich bin Brückenbauer«. Somit wird auch für ihn das Fenster letztlich zu einer verbindenden Fläche zwischen den Welten.
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