Endlich Ruhe durch Reet

Baustofflager mit Reet

Schilf ist der Tausendsassa unter den natürlichen Baustoffen. Ihn nur als Dachmaterial einzusetzen wäre zu schade. Reet-Experte Tom Hiss erklärt, wozu das Naturprodukt noch so alles taugt.

Herr Hiss, beim Wort „Reet“ fallen einem sehr hochwertige Häuserdächer an der Küste ein. Das muss man sich erstmal leisten können. Ist es noch ein Nischenprodukt in der Baubranche?

Ja, Reet ist ein traditioneller und hochpreisiger Baustoff, der eher auf Sylt, Nordfriesland und Mecklenburg-Vorpommern eingesetzt wird. Das hat bei Neubauten auch touristische Gründe, weil Ferienhäuser mit einem Reetdach bei Gästen sehr beliebt sind. Sie verbinden damit eine bestimmte regionale Atmosphäre und Gemütlichkeit.

Reet kann aber noch viel mehr, sonst würde Sie es nicht so vielseitig einsetzen.

Das spannende an Reet ist, dass es so unterschiedlich einsetzbar ist. Wir bieten als Hersteller von Schilfprodukten Platten zur Wärmedämmung von Wand- und Dachkonstruktionen und als Putzträger für den Innenausbau an. Auch als Schallschlucker kommt das Material zum Einsatz. Wir nutzen Reet im Gartenbau als Sichtschutz, für Zäune und Gartenhäuser. Wir haben ganz aktuell eine Produktlinie mit mehrfach nutzbaren Trinkhalmen entwickelt, die auf natürliche Weise kompostieren. Wir versuchen aus dem Unkraut, was es ja eigentlich ist, das Optimum herauszuholen.

Ein sehr wertvolles „Unkraut“…

Ja, doch erst nach der Verarbeitung wird Schilf zu einem hochwertigen Baustoff – nicht viele wissen, dass es hervorragende Dämmeigenschaften besitzt. Zum einen unterscheiden sich die drahtverbundenen Schilfrohre aufgrund der groben Oberflächenstruktur von anderen glatten Dämmstoffen. So kann etwas dickerer Putz aufgetragen werden – gleichzeitig sind die Rohre stabil und leichter als beispielsweise Massivholz. Zum anderen ist Reet ein natürlicher Wärmespeicher. Die Wände werden schneller warm. Ganz anders als bei denen in einem Massivhaus, die länger brauchen und mehr Energie benötigen. Außerdem schlucken die elastischen Schilfplatten den Schall. Wir nutzen das Naturprodukt nun auch als sogenannte Absorber an den Innendecken von Räumen.

In einem Sylter Modehaus hatten wir eher aus optischen Gründen Reet angebracht. Dabei stellten wir fest, dass es zu einem ähnlichen Effekt kommt, als wenn Eierkartons an den Wänden befestigt sind, um den Geräuschpegel zu senken. In den Räumen herrscht jetzt eine gedämpfte Wohnzimmer-Atmosphäre, auch wenn dort mehrere Kunden gleichzeitig sind.

Wand aus Reet

Wie nachhaltig ist Reet?

Während des Wachstums bindet das Schilf CO₂. Nach der Ernte im Winter wächst es aus den weit verzweigten Wurzeln wieder nach, ohne dass es gesät oder gedüngt werden muss.

Worauf sollten Bauträger achten, wenn Sie Schilf als Baustoff verwenden?

Die ideale Bauzeit ist im Sommerhalbjahr, damit der Putz schnell trocknen kann. Das ist das oberste Gebot, damit keine Feuchtigkeit in das Schilf einzieht. Beim Reetdach ist es wichtig, dass die Neigung des Daches berücksichtigt wird. Je größer der Winkel ist, desto weniger Regenwasser dringt in die Dachhaut ein und sie trocknet schneller. Als Faustregel gilt, dass ein Dach mit einer Neigung von 50 Grad mindestens 45 Jahre intakt bleibt. Außerdem sollten die Häuser nicht im Wald errichtet werden, da nicht entferntes Laub die Feuchtigkeit hält und das Material schädigt.

Wie kam es zu Spezialisierung Ihres Unternehmens auf Reet?

Meine Vorfahren hatten sich auf der Insel Fehmarn Anfang des 17. Jahrhunderts angesiedelt. Es waren Seefahrer, die den Landhandel unter anderem mit Schilf auf den Weg gebracht haben. Importiert wurde der Rohstoff unter anderem aus Dänemark. Mein Vater hatte in den 1970er Jahren auch Lieferanten aus Ungarn hinzugewonnen. Seit 33 Jahren leite ich nun das Geschäft in der sechsten Generation und lasse mittlerweile zusätzlich aus der Türkei und Rumänien liefern.

Von klein auf beschäftigen Sie sich mit Reet. Was bedeutet es Ihnen persönlich?

Sehr viel. Die ersten Ferienjobs hatte ich im Familienunternehmen: Silos fegen, Ware annehmen und wiegen. Gerne denke ich noch an die Zeit zurück, als ich meinen Vater in jungen Jahren auf Geschäftsreisen begleiten durfte. Das war zuweilen aufregend. So sind wir zur Zeit der Militärdiktatur innerhalb der Türkei Anfang der 80er Jahre in russischen Tupolew-Flugzeugen geflogen – das war nervenaufreibend. Die Piloten waren in der Regel ehemalige Kampfpiloten, die den Flughafen auch mal im Sturzflug angeflogen sind.

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