Faszinierend nachhaltig

Sie ist nicht größer als ein Gartenhaus, ein wenig unscheinbar und doch revolutionär: Die Workbox wurde komplett nachhaltig gebaut – aus Gewächsen, die für die Baubranche in Zukunft von großer Bedeutung sein könnten. Ein Gespräch mit dem Architekten Mathias Wirths.

Workbox - fertiger Bau (© Mathias Wirths)

Die Workbox im bio innovation park Rheinland wurde zeitweilig von Besuchern fast überlaufen. Was fasziniert die Leute an dem kleinen Verschlag?

Ich bin selbst überrascht und freue mich über das Interesse. Vielen Menschen ist Nachhaltigkeit sehr wichtig geworden und das gilt natürlich auch für die Baubranche. Hier stößt unsere Forschung auf Interesse, weil wir im Bau viel dazu beitragen können, dass sich der CO2-Ausstoß verringert. Die Workbox, ein Häuschen von gerade mal zwölf Quadratmetern Größe, soll demonstrieren, dass sich die Pflanzen Paulownia und Miscanthus, ein Landschilf, hervorragend als Baustoff eignen. Diese Pflanzen wachsen in einem enormen Tempo. Im Gegensatz zur Fichte, die 60 Jahre braucht bis sie geschlagen wird, braucht Paulownia nur 15 Jahre. Für mich als Forscher fühlt es sich gut an zu sehen, wie sich theoretische Überlegungen in eine praktische Form umsetzen lassen. In so einem Häuschen zu stehen, ist etwas anderes, als nur darüber zu lesen.

Paulownia ist eine frostempfindliche Pflanze. Wie findet sie ihren Einsatz in unseren Breitengraden?

Momentan beziehen wir den sogenannten Blauglockenbaum noch aus Spanien. Das ist nicht besonders nachhaltig, aber Ziel unserer Forschung ist es unter anderem, die Frostempfindlichkeit zu untersuchen und herauszufinden, wie man bei dieser Pflanze auch hier die Kälteempfindlichkeit verringern kann. Daran arbeiten die am Projekt beteiligten Kollegen der Universität Bonn unter der Leitung von Professor Pude sehr intensiv.

Sie verarbeiten auch eine Art Schilfgewächs.

Ja, Miscanthus x giganteus, auch Chinaschilf genannt, ein schmalblättriges bis zu vier Meter hochwachsendes Landschilf. Miscanthus kann einmal auf der Fläche etabliert, mindestens 20 Jahre lang jährlich im Frühjahr geerntet werden. Wir haben Paulownia und Miscanthus miteinander kombiniert: Die Wandoberflächen in den Innenräumen sowie die Dacheindeckung und die Fassade außen, besteht aus Miscanthus, der Großteil der Konstruktion und der sichtbaren Holzoberflächen besteht aus Paulownia. Beide Stoffe binden in kürzester Zeit eine Menge an CO2, womit wir einen Beitrag zur Klimarettung leisten können.

Workbox - Dach (© Mathias Wirths)

Lässt sich diese Art des Bauens in Zukunft auch auf Wohnimmobilien übertragen?

Noch fehlen genügend Daten und vor allem die Zulassung für diese Baustoffe. Daran forschen wir ja gerade intensiv. Wenn es gelingt, könnte es durchaus möglich sein, diese Pflanzen für den Innenausbau anstelle des gängigen Bauholzes zu verwenden. Für alle Anwendungen im Leichtbau, zum Beispiel Tiny Houses, wäre Paulownia durchaus einsetzbar. Die Optik und das Wohngefühl sind bei diesen Baustoffen ähnlich wie bei Holz.

Die Workbox steht im Unternehmerpark Kottenforst in Meckenheim. Warum da?

Das Gebäude ist Teil des zukünftig dort entstehenden Kompetenzzentrum für ein Bauen mit nachwachsenden Rohstoffen, das biobasierte Produkte fördert. Dafür werden Unternehmen, Kommunen und Wissenschaft miteinander vernetzt. Die Stadt Meckenheim hat uns dieses prominente Grundstück für fünf Jahre zur Verfügung gestellt, um dort die Workbox zu bauen. Vor Ort, in diesem „Freiluft Reallabor“, werden auch Freilandversuche mit weiteren Pflanzen, die schnell wachsen, präsentiert. Die Workbox dient als Lager für Werkzeug und als Umkleide. Sie ist in dem Forschungsprojekt „biobasierte Produkte“ entstanden, das vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert wurde. Wir haben gemeinsam mit der Universität Bonn und der Hochschule Rhein-Sieg verschiedene Anwendungsbeispiele und Produkte erforscht. Studierende untersuchten zum Beispiel Werkstoffplatten, Fachwerkträger und konstruierten die Workbox zur Demonstration der neu entwickelten Baustoffe. Im Netzwerk des bio innovation park Rheinland e.V. werden hier weitere Forschungsergebnisse präsentiert werden.

Lassen sich noch weitere Produkte aus den Pflanzen entwickeln?

Wir würden auch gern holzwerkstoff­ähnliche Platten oder Stäbe aus Miscanthus entwickeln, vielleicht in Kombination mit der Paulownia. Miscanthus hat eine hohe Zugfestigkeit. Paulownia ist ein sehr leichtes Holz mit guten Wärmedämmeigenschaften – es hat nicht ganz die mechanische Leistungsfähigkeit einer Fichte, aber dafür, dass es nur die Hälfte des Gewichtes hat, sind die Werte noch recht gut. Wir hatten auch schon mal die Idee, Fachwerkträger nur aus Miscanthus-Bündeln zu bauen. Doch dafür braucht es kraftschlüssige Verbindungen zwischen den Miscanthus-Stängeln, um die tragende Funktion zu verstärken. Miscanthus hat aber eine wachsartige Oberfläche, das ist für das Verleimen enorm schwierig.

Workbox - Innenausbau (© Julian Weber)

Was fasziniert Sie an Miscanthus?

Zunächst, die Möglichkeit CO2 zu binden, und damit einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Diese Pflanze hat außerdem eine enorme Kraft. Ich habe einmal an zwei Stäbe, einen aus Fichte, einen aus Miscanthus, je eine Tasse Kaffee gehängt. Der Fichtenstab bog sich bei gleichem Durchmesser stärker durch als der viel leichtere Miscanthus-Stab. Die Zugfestigkeit ist faszinierend. Im Inneren des Stängels befindet sich zudem ein natürliches schwammartiges Gewebe, ähnlich wie künstlich hergestelltes Styropor. Daraus hat der Agrarwissenschaftler Prof. Dr. Ralf Pude von der Universität Bonn vor einigen Jahren eine Art Dämmputz entwickelt, der auch in die Workbox eingearbeitet wurde.

Workbox - Holzelemente (© Julian Weber)

Welchen Beitrag können Architekten leisten, damit diese Art der Baustoffe zum Einsatz kommt?

Falls diese Baustoffe zugelassen und dank industrieller Fertigung zu konkurrenzfähigen Produkten werden, könnten Architekten sich darüber informieren und sie ihren Bauherren vorschlagen. Damit könnten sie unter anderem Konstruktionen entwickeln die sich gut trennen lassen. Wärmedämmverbundsysteme aus Putz und Styropor kann man beim Recycling zum Beispiel nicht gut voneinander trennen. Bei den nachhaltigen Baustoffalternativen lassen sich die Schichten gut voneinander lösen. Da sie keine Schadstoffe haben, können sie einfach verrotten oder recycelt, als Stabhölzer aber auch wiederverwendet oder als Einstreu in Ställen genutzt oder zur Energiegewinnung eingesetzt werden. Das Material ist ein Tausendsassa.

Workbox - Miscanthus-Fasern (© Julian Weber)

Können Architekten schon jetzt hilfreich für die Forschung sein?

Auf jeden Fall, mit Ideen für Baustoffästhetik zum Beispiel. Im Augenblick werden die Miscanthus-Fasern bei der Ernte meist klein gehäckselt. Die Platten gleichen dann Spanplatten. Für den Einsatz im Möbelbereich oder als sichtbare Oberfläche ist das weniger ansprechend. Längere Fasern hätten den Vorteil, dass die Optik einer Bambus-Platte ähnelt. Wir haben das mal händisch zusammengebaut und eine ganz andere Ästhetik erreicht. Mit langen Fasern erzeugt man, meiner Meinung nach, auch bessere mechanische Eigenschaften.

Sie haben viel geforscht, welches Projekt hat Sie in Ihrer Karriere am meisten beeindruckt?

Das waren ganz viele und ganz unterschiedliche. Für mich sind dabei vor allem die Projekte spannend, bei denen ich mit Studierenden Dinge umsetzen kann. Die Workbox ist eine Bachelorarbeit von zwei Studierenden der Alanus Hochschule, die ich mit einem Mitarbeiter betreut habe. Am Ende eine wissenschaftliche Erkenntnis zu erhalten, macht mir immer wieder Freude und motiviert die Studenten – zuletzt war das so, als wir den Miscanthus-Träger gebaut haben.

Zur Person

Mathias Wirths ist Architekt und Professor für Materialkunde an der Universität Siegen und Bautechnologie an der Alanus-Hochschule bei Bonn. Im Rahmen des Projekts zu biobasierten Produkten erforscht er zusammen mit Studierenden neue Baumaterialien aus nachwachsenden Pflanzen und entwickelt Anwendungsbeispiele. Das Projekt wurde vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert und vom Agrarwissenschaftler Ralf Pude von der Universität Bonn initiiert und koordiniert.

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