Mit Geometrie gegen Monotonie Wie die Formsteine von Karl-Heinz Adler nicht nur das Stadtbild der DDR prägten, sondern alle Grenzen überwinden konnten
Autor: Dave Großmann, Künstler und Redakteur an den Schnittstellen von Design, Kunst und Architektur
Anders als in der Kunst, ist die Gestaltung in der Architektur ein echter Hindernislauf. Alltägliche Hürden von Normen und Auflagen sind deutlich höher angelegt als, sagen wir einmal, in der Malerei. Oftmals setzen sich Künstler den Rahmen des Möglichen erst selber, um nicht an einer leeren Leinwand zu scheitern. Denn eine freie Hand ist keine Garantie für Kreativität. Was zählt ist, wer die Grenzen zieht: Ich – oder die anderen?
Diese Art von Freiheit war in der Kunst nicht immer gegeben. Als Künstler in der DDR war es ein riskantes Spiel, neue Ideen und Ansätze zu verfolgen. Die Vorstellung darüber, was die sozialistische Kunst hervorbringen sollte, war starr, wenn nicht sogar steinhart. Karl-Heinz Adler hatte mit seiner Kunst am Bau gleich zwei Hürden zu meistern: Einerseits musste er sich in ein diktiertes Kunstverständnis fügen, andererseits mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten in der Architektur neue Wege finden. Ein schmaler Grat, der zu beeindruckenden Ergebnissen führte.
Not macht erfinderisch
Nach der Ausbildung zum Musterzeichner und dem Kunststudium lehrte und forschte Adler an der TU Dresden im Bereich Architektur und Bauplastik. Hier experimentierte er ausschließlich mit preiswertem Baumaterial. Etwas anderes war zu dieser Zeit kaum möglich – grundsätzlich waren die Nachkriegsjahre der DDR vor allem durch Ressourcenmangel geprägt. Sichtbar wurde dies in allen Facetten des alltäglichen Lebens, am deutlichsten jedoch in der Architektur. Wenn wir eine Farbe mit dem Stadtbild der DDR verbinden, dann ist es wohl Grau.
Die sozialistische Bauweise war geprägt von Beton und modularen Systemen. In Anbetracht von Wohnungsnotstand und Mangelwirtschaft war die Plattenbauweise durchaus sinnvoll: nicht schön, aber zweckmäßig. Im Gegensatz zu maroden Altbauten lieferte “die Platte” fließend Warmwasser, Anschluss an eine Zentralheizung und vor allem Zugang zu einer eigenen Toilette und Badewanne in der Wohnung. In der Nachkriegszeit keine Selbstverständlichkeit! Die Häuser der Typen WBS 70 oder WHH GT 18 waren zwar begehrt – gleichzeitig jedoch genauso seelenlos wie ihre Namen klingen. Zwischen monotonen Häuserreihen verirrte man sich leicht in die Trostlosigkeit.
Zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Während ein großer Teil der Bevölkerung in diesen sogenannten “Arbeiterschließfächern“ hauste, baute das DDR-Regime an seinem Prestigeprojekt, der ehemaligen Ost-Berliner Stalinallee. In der heutigen Karl-Marx Allee trafen Masse und Klasse zusammen: Diese »Arbeiterpaläste« waren ebenso Plattenbauten – jedoch mit prächtigen Häuserfronten im Stil des sozialistischen Klassizismus. Ausgerechnet hier begann die Fassade zu bröckeln und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Große keramische Flächen fielen einfach ab, da die eingesetzten Platten nicht dampfdiffusionsfähig waren und im Winter abfroren. An dieser Stelle kam Adler ins Spiel. Zu genau jener Zeit entwickelte er eine Silikatkeramik, die atmungsfähig war und somit Abhilfe schaffte.
Dieser Umstand half ihm, ein komplettes Baukastensystem zu entwerfen. Die Idee: Nicht nur prestigeträchtige Boulevards, sondern die einfachen Wohnsiedlungen ästhetisch aufwerten und somit vor der Monotonie bewahren. Zwölf Grundformen in plastischen Betonformsteinen sollten die sonst kahlen Außenwände der Plattenbauten ornamental verzieren. Die ungefähr 60 mal 60 Zentimeter großen Platten mit geometrischem Aufbau konnten in einfachen Reihen gesetzt oder in komplexen Mustern miteinander kombiniert werden. Bestimmte Steinmotive waren als offene Form angelegt und wurden deshalb auch für skulpturale, freistehende Wände, sowie für Brunnen oder Spielplatzbegrenzungen eingesetzt.
Das besondere an der plastischen Fliese war, dass sie preisgünstig hergestellt und direkt in den Bauprozess mit einbezogen werden konnte. Doch vor allem war sie für Adler die einzige Möglichkeit, seinem künstlerischem Ansatz, der abstrakten, geometrischen Arbeitsweise, nachzugehen. Abstrakte Kunst war in der DDR nicht vorgesehen. Man wollte die einfachen Arbeiter, Bauern und Helden des Alltags sehen, aber keine Geometrie. Mithilfe der Bauplastik fand Adler als einer der Wenigen einen Weg, sich in diesem streng kulturpolitischen Parcours dennoch zu entfalten – wenn auch nur beschränkt. Seine weiteren Collagen, Zeichnungen und Gemälde konnte er nur ausstellen, wenn sie dafür ins Ausland geschmuggelt wurden. Erst nach der Wiedervereinigung, als Adler bereits im hohen Alter war, wurde sein vielseitiges Werk auch in Deutschland gezeigt. Heute sind leider viele der baubezogenen Reliefs aus dem öffentlichen Raum verschwunden, Überbleibsel werden aber von Liebhabern auf Design- und Architekturblogs wiederentdeckt.
Das Beispiel Adler zeigt uns eindrucksvoll, dass selbst in dem schmalen Korridor zwischen Diktatur und Ressourcenmangel kreative Lösungen zu finden waren. Mit Ausdauer, Verstand und einer Prise Glück setzte er sich über ideologische, wie reale Mauern hinweg und wurde von niemand geringerem als Picasso eingeladen, um sich über seine Keramik auszutauschen. Karl-Heinz Adler überwand nicht nur Hürden – er war ein Grenzgänger der Kunst.
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