Seth Clark: Einstürzende Leichtbauten

Werk "Orb", Holz, PVA, 46 cm x 46 cm x 46 cm

In den Ruinen amerikanischer Einfamilienhäuser findet der Künstler Seth Clark eine außergewöhnliche Ästhetik. Eine inspirierende Perspektive über den Umgang mit Verfall in der Architektur.

Ein Gastbeitrag von Dave Großmann.

Eine der großen Herausforderungen der man sich in der Architektur stellen muss, ist der Verfall. Einerseits nagt der langsam fortschreitende Verschleiß an der Bausubstanz. Andererseits leiden ganze Gegenden unter Naturkatastrophen, Strukturwandel oder geplatzten Träumen. Ruinen erzählen immer eine Geschichte des Scheiterns. Überraschenderweise fühlen sich viele Menschen dennoch von verlassenen Orten magisch angezogen. Vom Ruhrgebiet bis nach Detroit – weltweit ziehen zerfallene Gebäude die Neugier auf sich. Sie sind sowohl abschreckend als auch faszinierend. Einerseits versprühen sie Nostalgie, andererseits stehen sie genauso für gegenwärtige Probleme. Zweifellos ein spannungsgeladener Stoff. Doch wie dreht man solch ein unvermeidliches Problem in neue Chancen?

Werk "Mass XX", Collage, Kohle, Pastell, Acryl, Graphit auf Holz, 183 cm x 213 cm, Diptychon

Eine Antwort darauf sucht der Künstler Seth Clark in den Überresten amerikanischer Wohnhäuser und landwirtschaftlicher Gebäude. In ihnen erkennt er eine einzigartige, oftmals übersehene Ästhetik. Einst geordnete Strukturen verwandeln sich zu völlig neuen Gebilden, die erstmal keinen Sinn ergeben und gerade deshalb wirken. Die Schwerkraft und der Zufall zerren am Material und schaffen fremdartige Formen. Zeit und Erosion dagegen geben den Oberflächen einen markanten Anstrich. In diesem natürlichen Prozess liegt für den Künstler ein bittersüßer Charme, den er in seinen Werken verdeutlicht.

Bereits auf den ersten Blick fallen die unzähligen gebrochenen Holzstrukturen auf, die spärliche Farbigkeit, Fensterrahmen und Wände, die wie Pappe in sich zusammenkrachen. Alles wackelt und ist morbide. Clarks Arbeiten sind aufwendige Collagen und Skulpturen, zusammengesetzt aus einer Vielzahl an unterschiedlichen Materialien. Man hört das Gebälk geradezu knacken, der Geruch feuchter Tapete kommt in den Sinn. Über allen Bildern liegt eine angespannte Stimmung. Nervös springt das Auge von Punkt zu Punkt und findet keine Ruhe. Anzeichen menschlichen Lebens oder der Umwelt sucht man hier vergebens. Stattdessen erscheinen die Trümmer und Strukturen losgelöst, wie fotografierte Produkte vor weißem Hintergrund. Es geht ums Detail.

Werk "Mass X", Collage, Kohle, Pastell, Acryl, Graphit auf Holz, 183 cm x 107 cm

Doch warum bietet der Künstler ausgerechnet diesen Objekten eine Bühne? Gibt es neben der rauen Ästhetik noch andere Gründe? Ohne Zweifel gelten vernachlässigte Häuser für die meisten Menschen als Schandfleck. Wie eine Narbe auf der Haut, erzählen auch die zerfallenen Mahnmale ihre eigene Episode des Unglücks. Seth Clark widmet sich unbequemen Tatsachen, statt wegzuschauen. Insgesamt spiegeln sich für ihn viele Aspekte der amerikanischen Gesellschaft in solchen Ruinen: »Ich denke, das Chaos, die Verwahrlosung, der Umbruch – all das findet sich in diesen Werken wieder.« Ohne direkt zu ermahnen, rufen seine Werke deutlich: »Seht her, für den Verfall sind wir Menschen letztlich selbst verantwortlich.« Zusätzlich verraten die Bilder aus einer europäischen Perspektive noch viel mehr über die amerikanische Baukultur. Wie so oft nach schweren Hurrikans oder Tornados, greift man sich in Europa an den Kopf und wundert sich über die fragile amerikanische Leichtbauweise. Die Gründe findet man hier vor allem im Kosten-Nutzen-Verhältnis. Holz ist günstig. Und aufgrund ihrer Arbeitssituation ziehen US-Bürger häufiger um als Europäer – warum also in ein teureres Massivhaus investieren?

Werk "Mass XXII", Collage, Kohle, Pastell, Graphit, Acryl auf Holz, 183 cm x 213 cm Diptychon
Werk "Mass Study", Collage, Kohle, Pastell, Graphit, Acryl auf Holz, 91 cm x 91 cm

So verrückt es klingen mag, stößt dieser Ansatz selbst unter Architekten auf Resonanz. Warum den unvermeidlichen Verfall nicht einfach zulassen, statt ihm entgegenzuwirken? Würdevolles Altern als gestalterisches Konzept? Bewusst setzt man immer häufiger auf Material, welches mit der Zeit eine Patina entwickelt. Sei es durch Cortenstahl oder spezielle Ziegel, die sich mit der Zeit verfärben und dem Bau einen auffälligen Charakter geben. Darüber hinaus birgt verfallene Substanz die Möglichkeit, Kontraste aus alt und neu zu setzen und zudem die Geschichte des Ortes geschickt einzubinden. Anschluss statt Abriss – viele gelungene Beispiele der Revitalisierung von Bausubstanz sprechen für sich. Vor allem angesichts von Ressourcenknappheit und Klimakrise könnte diese Herangehensweise nachhaltiges Bauen in Zukunft maßgeblich prägen. Auch künstlerische Ansätze wie etwa von Seth Clark helfen uns dabei, selbst in aufgegebenen Trümmern ungenutzte Möglichkeiten zu erkennen. Und den Verfall nicht als Problem, sondern als möglichen Neuanfang zu begreifen.

Werk "Rooftop", Holz, PVA, Acryl, 15 cm x 28 cm x 20 cm

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